Wollen und Können in Übereinstimmung bringen
Wenn ich einen neuen Schüler bekomme, und dieser mir zum ersten Mal etwas vorliest, frage ich mich manchmal, warum ich mit diesem Schüler üben soll. Es geht los, und zwar flott und noch dazu fehlerfrei. Doch schon nach kurzer Zeit fällt auf, dass sich irgendwann Lesefehler einschleichen. Das Gelesene klingt zwar gut, stimmt aber nicht mit dem zu lesenden Text überein.
Die Abweichungen sind manchmal Kleinigkeiten. Wenn ein Satz zwei Nomen enthält, und das erste in der Mehrzahl steht, lesen viele Kinder das zweite Nomen auch in der Mehrzahl, obwohl es in der Einzahl steht.
Beispiel: Die Mäuse rennen vor der Katze davon. Gelesen wird: ... vor den Katzen ...
Solche Beispiele sind ein Anzeichen dafür, dass die Lesefertigkeit für die Lesegeschwindigkeit nicht ausreicht. Die Kinder versuchen, einige Wörter oder Textteile zu erraten. Je einfacher die Texte, desto besser funktioniert diese Strategie. Eine sofortige Gegensteuerung, nämlich das langsame, aber richtige Lesen hilft meist schnell, passiert aber meist nicht. Wenn die Technik aber automatisiert ist, dann ist den Kindern die Problematik dieser Lesetechnik meist gar nicht bewusst. Die Kinder gewöhnen sich diese Lesetechnik sehr früh an. Sie wollen einfach so schnell lesen, wie sie es bei anderen Schülern hören. Aber sie können es noch nicht richtig.
Weitere Lesebeispiele:
Die Kinder der anderen Gruppe ... - ... der anderen Gruppen ...
In den Bergen gibt es Hunde, die unter Lawinen verschüttete Menschen suchen. - ... Hunde, die unter Lawinen schnüffeln.
Was kann man tun? Zunächst mache ich den Schülern an ihren eigenen Leseergebnissen klar, dass sie raten. Häufig könnte der Text ja genau so lauten, wie die Schüler meinen. Dann üben wir das langsame Lesen mit Artikeln oder Witzen, je nach Lesefertigkeit durch buchstaben- oder wortweise Darbietung des Lesestoffes. Ohne Computer würde ich ein Leselineal nehmen.
Die Übungsart „Genau lesen“ unter „Vermischtes“ Bei allen Klassen ist besonders geeignet. Es gibt verschiedene Übungstypen. Wenn im Text Fantasiewörter eingebaut sind, und der Schüler das weiß, wird aufmerksamer gelesen. Bei manchen Übungen gibt es jeden Satz mehrmals in Variationen. Es gibt auch Übungen mit Schüttelsätzen. Die Sätze werden variiert, wobei die Wortfolge keinen Sinn ergibt. Da kann man nur aufmerksam von rechts nach links lesen. Gleichzeitig werden die Wortbilder geübt.
Außerdem sind Fantasiewörter (Lesequatsch), der Wörterschüttelautomat sowie Übungen mit schwierigen Wörtern gute Übungsmöglichkeiten.
Wichtig ist es, jeden Lesefehler zu korrigieren. Ein sanfter Hinweis, ein erhobener Finger, das Zeigen auf das betreffende Wort mit dem Cursor oder einem Stift genügen schon. Hilfreich ist es auch, die Schüler bei Lesefehlern zu fragen, ob sie den Satz verstanden haben. Meist lautet die Antwort offen und ehrlich: "Nein!" Ich treffe mit den Schülern eine Vereinbarung, immer dann, wenn der Inhalt nicht verstanden wurde, den Satz möglichst von sich aus noch einmal zu lesen. Daran muss ich aber immer wieder erinnern.
Eine schöne Möglichkeit ist es auch, im Lesetraining einmal den Spieß umzudrehen und dem Schüler vorzulesen, und zwar mit bewusst eingestreuten Lesefehlern. Der Schüler soll den Trainer korrigieren. Das zwingt den Schüler genau zu lesen und macht ihm Spaß.