Steffen Gailberger
Systematische Leseförderung für schwach lesende Schüler – Zur Wirkung von lektüre-begleitenden Hörbüchern und Lesebewusstmachungsstrategien
2013 BELTZ JUVENTA – ISBN 978-3-7799-2973-7
Auf dieses Buch bin ich durch eine Recherche über den Einsatz von Hörbüchern zur Leseförderung gestoßen, weil ich mich mit dem Gedanken beschäftige, für meine Schüler als Ergänzung zum Lesemotivationstraining Hörbücher einzusetzen.
Wer sprachlich starken Tobak liebt, ist mit diesem Buch gut bedient. Gleich auf Seite 16 findet sich ein tolles Beispiel:
„Karmiloff-Smith betont, dass erreichtes Können nie als eine situative Performanz von Schülerinnen und Schülern missverstanden werden darf, sondern vielmehr als eine nachhaltig-übertragbare Kompetenz darzustellen und zu fördern ist, die (im besten Fall) bis zu einem expliziten Bewusstseinslevel erfolgreich weiter zu fördern ist. Nur so könne garantiert werden, dass domänenspezifische Kompetenzen (wie eben das Lesen) – in verschiedenen Mustern vorhanden – auch wirklich auf neue Problemlösungsanlässe übertragen werden können. Lesende weisen dies nach, wenn sie systematische Zugriffsmöglichkeiten auf Texte nutzen und damit zeigen, dass sie aus verschiedenen potenziellen, jeweils diejenigen Alternativen auswählen können, die am ehesten Erfolg versprechen."
In aller Ehrfurcht vor dieser Formulierungskunst: Meine Kompetenz reicht nicht aus, um zu verstehen, was genau der Autor sagen will. Vielleicht das: Wer nicht nur einen Artikel lesen kann, sondern mehrere, der verfügt über eine Lesekompetenz?
An verschiedenen Stellen im Buch, z.B. auf Seite 19 und auf den Seite, 54, 55 und 56 wird behauptet, dass Leseschwäche besonders in sozialen Brennpunkten vorkommt. Sie kommt in ganz Deutschland vor, in allen Schichten, und auch in anderen Ländern. Das lässt darauf schließen, dass es neben den sozialen Gründen auch andere, die vielleicht mit dem Leselernprozess selbst zusammen hängen, geben muss.
Völlig zurecht weist der Autor aber darauf hin, dass Leseanimationsmaßnahmen bei leseschwachen Schülern kaum bis gar keine Wirkung zeigen. Wer nicht gescheit lesen kann, dem kann man auch keine Lust auf das Lesen machen. Und dass es immer mehr Schüler werden, die Leseschwierigkeiten haben, das legt der Autor überzeugend dar.
Als eine Maßnahme zur Förderung der Lesefertigkeit wird das Hörbuch beschrieben. Dem ist nur zuzustimmen.
Im Buch wird das Lüneburger Modell beschrieben und in diesem Zusammenhang einiges zum Kompetenzbegriff ausgeführt. Für mich war das hochinteressant, weil ich bislang nicht wusste, woher die inflationäre Verbreitung des Kompetenzbegriffs kommt. Man erfährt, dass die Durchsetzung deses „neuen Paradigmas" im Zuge von PISA 2000 beschlossen und „top-down" eingeführt wurde.
Franz E. Weinert hat 2001 im Auftrag der OECD die gängigen Kompetenzbegriffe gesichtet und zu einer Synthese zusammengefasst: „Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können."
Der Autor bricht dann diesen stark kondensierten und auch nach seiner Meinung für für Lehrende und Studierend alles andere als leicht verständliche Satz auf das Thema Lesen herunter. Ich formuliere das mal für mich um: Wissen und Fertigkeiten werden dann zu Kompetenzen, wenn man damit immer wieder andere Probleme motiviert, willentlich und verantwortungsvoll lösen kann. Persönlich halte ich hier – wie in vielen Fällen – die Kompetenzorientierung für reichlich gestelzt. Und was dieser Kompetenzbegriff für das Lesen bedeutet, das dürfte spannend werden. (Ich frage mich zunächst, ob es etwas mit Kompetenz zu tun haben kann, wenn ich einen Krimi lese? Wahrscheinlich schon, denn ich löse damit das Problem, dass mir langweilig ist oder ich Ablenkung vom Schulstress brauche.)
Lesekompetenz wird immer auf drei unterschiedlichen Ebenen betrachtet:
• dem Lesen auf Prozesseben – diese Ebene wird in Kompetenzstudien betrachtet
• dem Lesen auf der Subjektebene – hier geht es um Motivation, Emotion und Wissen
• dem Lesen auf der sozialen Ebene – was beeinflusst individuell: Familie, Schicht, Ethnie
„Allein die Fähigkeit des Lesens an sich zu besitzen, hat so lange nichts mit Kompetenz und Kompetenzausübung (und damit auch mit möglicher Kompetenzsteigerung) zu tun, solange Schülerinnen und Schüler diese als träge Fähigkeit zwar besitzen, sie aber unter handlungsbezogenen Gesichtspunkten weder aktiv anwenden, noch fundieren, noch von ihnen profitieren. Zu einer erkennbaren Kompetenz wird diese ´unsichtbare´ Fähigkeit erst im konkreten Leseereignis, das heißt durch die motivational terminierte und volitional gesteuerte, wiederholte Anwendung, aus der wir wiederum auf latente Kompetenzen rückschließen können." Meine Güte: Wie kompliziert kann man die Welt machen. Ich frage mich ernsthaft, ob ich das bei meiner praktischen Arbeit brauche. Dass ich meine Schüler motivieren muss, das war mir von Anfang an klar, und dass die Schüler lesen lernen wollen müssen, ist die Folge davon. Und dann üben, wiederholen und vertiefen wir so lange, bis die Lesefertigkeit sich deutlich verbessert hat.
Bestätigt fühle ich mich auf Seite 54/55: Bei schwach lesenden Schülern bringt es gar nichts, wenn diese leise viel lesen. Das sage ich allen Eltern. Es kommt darauf an, durch langsames, vom Trainer oder Lesepartner kontrolliertes Lesen zur Lesegenauigkeit zu kommen. Danach kommt dann die Steigerung der Lesegeschwindigkeit. Ob man dann von Kompetenz spricht oder nicht, ist für mich unerheblich.
Ich habe einige Passagen übersprungen, weil ich die für meine Arbeit nicht brauche.
Völlig zurecht stellt der Autor auf Seite 117 fest: „Wer noch in der Sekundarstufe 1 nicht über eine ausreichende Leseflüssigkeit verfügt, wird schwerlich in der Lage sein, seine mangelnde Lesekompetenz alleine und auf sich gestellt zu verbessern." Ich füge hinzu: ... nicht über eine ausreichende Leseflüssigkeit bzw. Sicherheit verfügt ... Denn manche Schüler lesen flüssig, aber sie lesen nicht genau das, was geschrieben steht. In den Mittelschulen schwankt der Anteil der leseschwachen Schüler zwischen 20 und 30 Prozent.
Interessant sind die Ausführungen über den Einsatz von Hörbüchern im Deutschunterricht im Rahmen des Lüneburger Modells. Es wird darauf hingewiesen, dass die Hörbücher die Interessen der Schüler treffen müssen. Geeignete Bücher werden besprochen.
Die Methode des Wiederholten Lautlesens und des Begleitenden Lautlesens im Rahmen des Lüneburger Modells werden vorgestellt. Als Trainer praktiziere ich beides mit meinen Schülern. In der Einzelförderung kann ich natürlich leicht das machen, was ansonsten eine Wahnsinnsaufgabe für den Lehrer ist: Den Schüler individuell zu fördern.
Hörbücher fördern die Leseflüssigkeit. Das ist belegt. Ich will das Hörbuch zum Lern-Hörbuch weiterentwickeln. Dabei soll der Schüler ohne auf die Technik achten zu müssen, den Beginn des Vorlesens eines jeden Satzes selbst bestimmen. Er kann dann entweder mit dem Ton mitlesen oder aber nach seinem Leseversuch kontrollieren, ob er richtig gelesen hat.
Interessant sind die Befragungsergebnisse und statistischen Auswertungen zum Hörbuch. Mich bestätigten diese in meiner Absicht, Lern-Hörbucher zur Unterstützung des Lesemotivationstrainings zu erstellen.
Im Buch werden noch viele Aspekte behandelt, die ich aber nur überflogen habe, weil ich sie bei meiner individuellen Einzelförderung nicht brauche.