Naegele, Ingrid – Praxisbuch LRS – Hürden beim Schriftspracherwerb erkennen – vermeiden – überwinden – BELTZ 2014 – ISBN 978-3-407-62844-2
Von dieser Autorin habe ich schon ein anderes Buch (Jedes Kind kann lesen und schreiben lernen) mit Begeisterung gelesen. Dieses Buch beginnt mit „Liebe Kollegin, lieber Kollege", d.h., das Buch wendet sich nicht an Laien, sondern an Fachleute. Die Autorin gibt ihre langjährigen Erfahrungen weiter. Davon kann man wirklich profitieren.
Die Autorin verwendet die Abkürzung LRS für Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Sie ist – wie ich mit meiner bescheidenen Praxis – auch zu der Überzeugung gekommen, dass die Unterscheidung für die Förderung der betroffenen Kinder keinen Sinn macht.
Das Buch zeichnet sich durch zahlreiche Schilderungen von Schülern und Jugendlichen aus, die über ihre Probleme berichten. Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke durch, dass ein ganz wichtiger Gesichtspunkt bei der Lese- und Rechtschreibförderung die Motivation ist. Unkenntnis der Probleme führen bei vielen Kindern zu Frust und mangelndem Selbstwertgefühl.
Die einzelnen Kapitel können auch unabhängig voneinander durchgearbeitet werden.
1) Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, was Lehrer über LRS wissen müssen. Es gibt einen kurzen geschichtlichen Rückblick zur Legasthenie. Ich lese immer wieder gerne die wissenschaftliche Begründung von Fachleuten, die mir zeigen, dass ich mit meinen praktischen Erfahrungen richtig liege.
Zitat: „Es ist alarmierend und bedrohlich, wenn jährlich fast 20 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler (Ergebnis PISA 2009) in Deutschland ohne ausreichende Lese- und Schreibkompetenz die Schule verlassen ...)." Die Autorin kritisiert, dass Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten zunächst als Beeinträchtigung der Lernfähigkeit betrachtet werden, z.B. als Teilleistungsstörung, und nicht als Beeinträchtigung der Lernmöglichkeiten. Sie rät den Lehrern, wenn Schwierigkeiten deutlich werden, nicht einfach abzuwarten, bis der Knoten platzt. Es wird sehr schön beschrieben, welche Faktoren zu einer LRS beitragen können.
Zitat: „Keinesfalls darf den Kindern vermittelt werden, unsere Schrift sei eine Lautschrift." Genau das passiert aber in den ersten beiden Grundschuljahren. Über die Folgen muss man sich nicht wundern.
Die Autorin macht begrüßenswerte Vorschläge für günstige Rahmenbedingungen zur Förderung von Kindern mit LRS. Die Autorin setzt sich auch mit dem medizinischen Verständnis von Legasthenie auseinander. Sie hält diesen Ansatz für verhängnisvoll und begründet das überzeugend. Die Kinder brauchen unterschiedlich lange für die einzelnen Phasen des Schriftspracherwerbs. Leider wird darauf kaum Rücksicht genommen.
Zum Schluss des Kapitels wird die Wichtigkeit der Motivation betont.
Die weiteren Kapitel sind wie folgt überschrieben:
2) Wie kann LRS festegestellt werden?
3) In welchen Bereichen brauchen Lehrkräfte Fachwissen?
Eine Liste mit Negativ-Zitaten von Lehrern macht sicher den einen oder anderen nachdenklich. Die Autorin gibt viele nützliche Tipps.
4) Welches metakognitive Wissen brauchen Kinder mit LRS?
Es gibt eine schöne Liste mit Hinweisen zum richtigen Üben. Vorrangig ist der Einsichtsprozess beim Kind. Auszug aus den weiteren Punkten: Loben, auch kleinster Fortschritte wird gleich danach genannt. Wiederholungen sind wichtig. Übungen sollen abwechslungsreich sein. Fehler sind sofort zu korrigieren. „Echtgemeinte positive Kommentare beflügeln die Lernmotivation."
5) Wie kann LRS im Anfangsunterricht vermieden werden?
6) Wie können Kinder mit LRS in der Grundschule gefördert werden?
7) Wie kann älteren Schülerinnen und Schülern mit LRS geholfen werden.
8) Was können Lehrkräfte Eltern raten, um ihr Kind zu unterstützen?
Als Unterstützung für die Rechtschreibung empfiehlt die Autorin insbesondere die Arbeit mit einer Lernkartei. Das finde ich praxisgerecht und leicht realisierbar. Damit könnten Eltern ihr Kind gut unterstützen.
9) Was ist bei außerschulischen LRS-Therapien wichtig?
Die Autorin stellt hier ihr FIT-Konzept (Frankfurter integrative Therapie) vor, das aus sechs Bausteinen besteht.
Individueller Förderplan
Gezielte Förderung des Lesens, Schreibens und Rechtschreibens
Gesprächs- und spieltherapeutische Unterstützung
Für das Kind nachvollziehbare Therapiestruktur mit festen Ritualen
Begleitende Gespräche mit den Eltern und Lehrkräften, regelmäßiges häusliches Üben
Einbezug geeigneter Medien und Materialien
10) Wie kann einem Kind bei drohendem Analphabetismus geholfen werden?