Rechtschreibung für Eltern – So unterstützen Sie Ihr Kind – Kirstin Diemer, Friederike Pronold-Günthner, Christian Stang (Hrsg.), Klett Lerntraining - ISBN 978-3-12-926092-0
Auf dem Cover steht noch „Das praktische Elternhandbuch“ und „Rechtschreibung ganz einfach!“. Ersteres kann ich bestätigen. Die zweite Aussage nicht. Ich finde, dass das Buch gut gemacht und auch hilfreich ist. Allerdings – und das ist von den Autoren sicher nicht beabsichtigt – kann man das Elend des derzeit gültigen Lehrplans kaum besser demonstrieren.
Es erschließt sich mir nicht, warum der Herausgeber in seinem Vorwort schreibt: „... und letztlich hoffe ich auch immer, durch meinen eigenen Werdegang ein bisschen Mut zu machen. So schrecklich kompliziert ist die deutsche Rechtschreibung nun auch wieder nicht. Ich habe auch nicht studiert und bin dennoch gut in Rechtschreibung. ...“ Also, was soll das Wort „auch“ im letzten Satz bzw. der letzte Satz überhaupt? Außerdem: Ob etwas für ein Kind kompliziert ist oder nicht, das hängt vor allem davon ab, wie man es an die Sache heranführt, und nicht davon, ob es später mal auf die Uni geht oder nicht.
Dem Buch vorangestellt ist ein hilfreicher Überblick über verschiedene Methoden des Schriftspracherwerbs. Die Behauptung, dass lernschwächere Schüler eher von stärker strukturierten Angeboten wie dem Fibellehrgang oder dem silbenanalytischen Konzept profitieren würden, kann ich voll unterstreichen. Aber ich behaupte allerdings, dass stärkere Kinder davon nicht benachteiligt werden. Schließlich habe ich das Lesen nach der Fibel gelernt.
Hilfreich ist die Kombination mit PDF-Arbeitsblättern auf der Internetseite des Klett-Verlages.
In der ersten und zweiten Klasse sollen Kinder lauttreue Wörter richtig verschriften. In den Geschichten, die die Kinder schreiben sollen, sind sie aber nicht auf diesen Wortschatz beschränkt. Deswegen sollen sie andere Wörter so schreiben, wie sie sie hören. Rechtschreibregeln lernen sie erst später. Und deshalb, das wird auch sehr schön beschrieben, sollen die Eltern mit den Kindern nur ganz bestimmte Wörter üben, z.B. nicht „Sonne“, weil da nur ein „n“ zu hören ist. Die entsprechende Regel lernen die Kinder erst später. Ein Dilemma ist, dass auch Dialekt gesprochen wird. Die Übungsblätter im Download-Bereich des Klett-Verlages geben da Hilfestellung.
Das Buch fängt mit dem Schuleintritt an und baut dann nach und nach die Rechtschreibung weiter aus. Die Regeln werden gut erklärt, aber es sind eben sehr viele Regeln. Und manchmal treffen mehrere für ein Wort zu. Zudem erschließt sich die richtige Schreibung vieler Wörter nicht durch Regeln. Das sind dann die Merkwörter, die herkömmlich geübt werden sollen. Zwei Zitate zu diesem Dilemma:
Seite 42: „Damit Merkwörter im inneren orthografischen Lexikon abgespeichert werden, muss ihre Schreibung automatisiert werden. Dies gelingt am besten durch häufiges Schreiben. ...“ Anmerkung von mir: Das trifft auf alle Wörter zu!
Seite 58: „Rechtschreiben darf nicht ausschließlich isoliert mit entsprechenden Materialien geübt werden, denn nur wer selbst Texte verfasst, lernt richtig schreiben. ... Das Verfassen kleiner Geschichten oder Aufsätze mit anschließender Überarbeitung ist ein gutes Rechtschreibtraining, denn hier fallen Üben und Anwendung zusammen.“ Dies ist eine Anlehnung an den Lehrplan. Die Autoren modifizieren den Bayerischen LehrplanPLUS sogar positiv durch die Wörter „nicht ausschließlich“. Im LehrplanPLUS für die Grundschule in Bayern heißt es auf Seite 33 nämlich: „Rechtschreibübungen finden nicht isoliert und ohne Anwendungsbezug statt, sondern eingebunden in sinnvolle Kontexte wie das Verfassen und Überarbeiten eigener und gemeinsamer Texte.“ Wir haben die Wörter früher zehnmal geschrieben. Das ist heute verpönt. Heute sollen die Kinder den Stoff mehr erproben, untersuchen und damit experimentieren. Die Folge: Die Regeln sitzen nicht. Die Autoren schreiben zurecht (Seite 85), dass viele Kinder beim Diktat in Zeitdruck geraten und in der vorgegebenen Zeit aufgrund von Rechtschreibunsicherheiten nicht in der Lage sind, die richtigen Strategien zu finden.
Aber, für den Lehrplan können die Autoren ja nichts. Deshalb ist das Buch unter den gegebenen Umständen bestimmt eine Hilfe für Eltern. Nur: Einfach ist anders! (Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich für diesen Lehrplan auch keine einfache Lösung habe.) Die vielen Regeln mit den vielen Ausnahmen sind für viele Kinder verwirrend. Ein Kind ist kein Computer, der die vielen Möglichkeiten enumerativ durchgeht und alle Ausnahmen berücksichtigen kann. Der Lehrplan sieht vor, dass es wichtiger ist, von Anfang an Geschichten zu schreiben, statt zuerst den Wortschatz zu erlernen. Was am Anfang an Zeit für die Rechtschreibung gespart wird, können viele Kinder später nicht mehr aufholen. Manche Eltern oder auch Lehrer geben sich – Pareto lässt grüßen – mit den berühmten 80 Prozent oder sogar noch weniger zufrieden.