Klaus Zierer – Hattie für gestresste Lehrer – Schneider Verlag Hohengehren – 2016
Über die Hattie-Studie hatte ich bisher nur einen Artikel gelesen, und mich – wie schon öfters – gewundert, mit wie viel wissenschaftlichem Aufwand Banalitäten als Erkenntnis verkündet werden. Das ist auch dem Autor bewusst. Dass es auf die Lehrerarbeit, also auf die Lehrpersonen ankommt, das ist der entscheidende Punkt der Hattie-Studie, und der zieht sich auch wie ein roter Faden durch dieses Buch. Es ist aber auch wirklich wichtig, dass dieser Punkt bewusstgemacht wird, weil er bei vielen Diskussionen kaum eine Rolle spielt. Zum Beispiel ist der Faktor „Klassenstärke“ für den Bildungserfolg im Vergleich zur Faktor „Lehrperson“ verschwindend gering. Oder: Neue Lehrkonzepte stehen und fallen mit der Kompetenz der Lehrperson. Wie die Lehrkraft die neuen Konzepte in der Praxis umsetzt, das entscheidet über den Erfolg. Es wird aber auch deutlich, dass es Faktoren gibt, die die Lehrpersonen nicht beeinflussen können. Dazu gehören z.B. die Elternhäuser und die Anlagen der Schüler.
Immer wieder wird derzeit gefordert, dass der Lehrer in die Rolle eines Moderators schlüpfen soll. Hattie dagegen sieht den Lehrer als Regisseur, der sich für den Lernerfolg seiner Schüler verantwortlich fühlt. Beim Moderatorenkonzept, in dem der Lehrer viel weniger Einfluss ausübt, sieht er die Gefahr, dass es für die meisten Schüler höchst ineffizient ist.
Ich – als Berufsfremder – finde das Buch gut gegliedert und instruktiv. Man bekommt einen Einblick in die Methode und einen Überblick über die Relevanz dessen, was im Zusammenhang mit Bildungspolitik diskutiert wird. Ich habe mich schnell und leicht durch das Buch gelesen. Insoweit dürfte es auch für "gestresste Lehrer" geeignet sein. Vielleicht ist der Hinweis auf den Lehrerstress aber auch so zu verstehen, dass die Hattie-Studie endlich die verdiente Anerkennung dieses Berufs bringt. Die haben viele Lehrer auch verdient. Das Personal in den Schulen zu fördern, das ist die wichtigste Aufgabe der Bildungspolitik. Alle, die in der Bildungspolitik etwas zu sagen haben, sollten die Hattie-Studie kennen.
Die für mich wichtigsten Botschaften sind:
• Der sozioökonomische Status der Eltern wirkt sich auf die schulischen Ergebnisse der Kinder aus. Das lässt sich nicht mit besonderen Schulformen korrigieren, nur die Lehrpersonen haben darauf einen positiven aber auch begrenzten Einfluss.
• Die direkte Instruktion, also eine Form des Unterrichts, in der die Lehrperson klare Ziele verfolgt und die Schüerinnen und Schüler bewusst zur Zielerreichung hinführt, erreicht nach Hattie eine überdurchschnittliche Effektstärke. Diese Form des Unterrichts darf nicht mit „Frontalunterricht“ gleichgesetzt werden. Aber, diese Unterrichtsform ist sowohl geschlossen als auch offen möglich. Auch hier kommt es darauf an, wie die Lehrperson den Unterricht gestaltet. Ich habe in meiner Schulzeit fast nur den lehrergeleiteten Unterricht erlebt (diese Bezeichnung gefällt mir besser als Frontalunterricht), und den habe ich im Zusammenhang mit ein paar Lehrern in sehr guter Erinnerung. Ich habe aber auch Lehrer gehabt, die diesen Beruf besser nicht ergriffen hätten.
• Bewusstes Üben ist wichtig. Das hat nichts mit einem Drill zu tun, aber es ist unstrittig, dass Wiederholungen mit Abwechslungen in den Aufgaben unerlässlich sind. Zeitliche versetztes Üben wird als effektiver als geballtes Üben angesehen.
• Der Unterricht ist der Ort der Bildung, nicht Strukturen und nicht Systeme. Der Unterricht ist das Hauptgeschäft der Lehrpersonen.
• Überzeugend finde ich auch die Ausführungen zum Expertenlehrer. Es wird deutlich gemacht, dass das nichts mit dem Dienstalter zu tun hat, sondern mit der Einstellung und dem Handeln der Lehrpersonen. Das staatliche Beurteilungssystem erscheint in diesem Zusammenhang absurd.
• Der Lernende soll der Ausgangspunkt für Erziehung und Unterricht angesehen werden. Die Lehrer-Schüler-Beziehung, die einen der wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Lehren und sichtbares Lernen darstellt, muss auf Kooperation und Akzeptanz beruhen.
Unter der Überschrift „Was ist eine passende Schule?“ wird auch zur Hauptschule Stellung genommen. Es heißt auf den Seiten 102/103): „Wenn es einer Schulart nicht gelingt, ihre Absolventen in die Arbeitswelt zu überführen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, einen Stand im Leben zu gewinnen, weil beispielsweise Wirtschaftsunternehmen lieber (schlechter qualifizierte) Realschüler oder Gymnasiasten nehmen, dann hat sie ihre Daseinsberechtigung verloren.“ Mein persönlicher Eindruck von der Mittelschule, wie die frühere Hauptschule jetzt genannt wird, ist positiver. Nach meiner Meinung wird die Basis für die Bildung in der Grundschule gelegt, und die verlassen viele Schüler nicht mit einer ausreichenden Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz, was sich nachteilig auf die weitere Schulkarriere (insbesondere in der Mittelschule, wo der Großteil davon landet) auswirkt.
An vielen Stellen des Buches werde ich an meine frühere Arbeitswelt erinnert. Da gbit es viele Parallelen, was den Umgang mit Mitarbeitern oder die Führungsfunktionen anbetrifft. Besonders die Stelle hat mir gefallen, wo es heißt, dass der Lehrer seinen Unterricht mit den Augen seiner Schüler sehen sollte. Mein Motto als Service- und Vertriebschef war: Im Kopf des Kunden denken. Das wird hier auf die Schule adaptiert.