Legastheniker haben immer ein besonders Talent
Diese Behauptung taucht immer wieder in Foren auf. Es gibt sogar die Behauptung, dass Legasthenie ein Talentsignal sei. In der Praxis sieht es jedoch so aus, dass die Kinder mit Leseschwierigkeiten sind bezüglich ihrer Talente nicht von anderen Kindern unterscheiden.
Natürlich können auch Legastheniker ganz Besonderes leisten. Aber die Voraussetzung dafür ist nicht die Legasthenie. Allerdings besagt eine Theorie, dass Legastheniker besonders gute Manager werden können. Aufgrund ihrer Leseschwäche haben sie sich angewöhnt, alles, was damit zusammenhängt, zu delegieren. Und delegieren zu können, das ist schon mal eine wichtige Fähigkeit für einen Manager. Die Praxis sieht aber vielmehr so aus, dass man mit Leseschwierigkeiten mehr für sein Fortkommen und den Erfolg tun muss als andere.
„Legasthenie als Talentsignal“ ist auch der Titel eines Buches. Autor ist Ronald D. Davis. Untertitel: Lernchance durch kreatives Lesen. Siehe Fachliteratur!
Der Titel hat mich gereizt, zumal ich ihn schon oft im Internet gelesen habe. Schon auf den ersten Seiten wurde mir klar, dass das bisschen Geld für das Taschenbuch hinausgeworfen war. Bereits das Geleitwort von Vera F. Birkenbihl trug dazu bei. Sie schreibt, dass das Problem (Anm.: Legasthenie) lösbar sei, wenn die Betroffenen ihre geniale Fähigkeit begreifen und als Stärke ausbauen können. Das ist eine Binsenweisheit, denn Stärken auszubauen, das ist generell wichtig. Im Zusammenhang mit der Legasthenie führt es aber leider oft dazu, dass man sich gar nicht bemüht, die Schwäche zu beseitigen. Dafür Zeit zu investieren, lohnt aber die Mühe!
Und wieso dieses Werk „bahnbrechend“ sein soll, das bleibt mir ca. 250 Seiten lang ein Rätsel. Ich finde, dass das Buch praxisfern und teilweise unlogisch ist. Der Autor geht davon aus, dass Legastheniker eine „besondere Wahrnehmung“ haben und bildet zur Veranschaulichung 40 verschiedene Möglichkeiten ab, wie das Wort „ROT“ von Legasthenikern gesehen werden könnte. Jeder „meiner“ Legastheniker kann mir jeden Buchstaben eines Wortes, das er falsch gelesen hat, einwandfrei identifizieren, auch die berühmten Buchstaben b und d., die beim Lesen verwechselt wurden. Zum Schluss gibt es allerdings praktische Tipps. Man erfährt, dass Legastheniker dazu neigen, zu schnell zu lesen, und dass man die Buchstaben durch Modellieren mit Knetmasse erlernen kann. Warum man sich dann aber vorher über viele Seiten mit nonverbalem Denken und Desorientierung durch Wörter wie „ab, auch oder das“ beschäftigen muss, das bleibt mir ein Rätsel. Fazit: Auch hier kommt man durch Üben ans Ziel. Wie würde Shakespeare sagen: „Much ado about [almost] nothing.
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