Schätzchen aus der Mottenkiste
„Sapperlot!“, entfuhr es mir, als ich las, dass man aufgrund einer wissenschaftlichen Studie mit der Fibel-Methode am besten die Rechtschreibung erlernt. Es ist schon verwunderlich, für was man die Wissenschaft bemühen muss. Vielleicht holt man ja bald das fälschlicherweise in der Mottenkiste gelandete gute alte Lesebuch doch wieder hervor. Aber …
… die Mühlen der Bildungspolitik mahlen langsam.
In der Studie wurden drei Methoden untersucht:
- Rechtschreibwerkstatt: Die Schüler holen sich Materialien nach eigenem Gusto, die sie selbständig und ohne zeitliche Vorgabe bearbeiten.
- Lesen durch Scheiben: Kinder schreiben schon bald die ersten Texte mit Hilfe der Anlauttabelle nach Gehör in Druckschrift.
- Fibel-Methode: Buchstaben und Wörter werden systematisch nach und nach gelernt und eingeübt. Man liest Druckschrift und schreibt Schreibschrift.
Die ersten beiden Methoden sind Produkte aus der Reformpädagogik. Mit einer Fibel, einem Lesebuch, habe ich im Jahr 1950 das Lesen von Buchstaben und Texten in Druckschrift gelernt. Eigene Geschichten haben wir erst spät geschrieben, ich glaube, in der dritten Klasse in Form von Aufsätzen. Die Buchstaben haben wir einzeln in einer verbundenen Schreibschrift gelernt, und dabei viel geübt, auch Schwungübungen waren dabei. Es wurde viel Wert auf eine flüssige, leichte Handschrift gelegt. Wir haben viel abgeschrieben. Dabei lernten wir die Wörter von Anfang an richtig zu schreiben und entwickelten auch ein Gefühl für die Rechtschreibung. Viele Regeln, die die Kinder heute brauchen, haben wir gar nicht durchgenommen.
Dieses Lernkonzept erschien Reformpädagogen, z.B. Jürgen Reichen (siehe Menü Fachliteratur) nicht zeitgemäß. Er meinte, dass die Kinder damit gequält und gedrillt werden. Er führte zudem aus, dass man Lesen nicht durch Lesen lernen könne, weswegen man es durch Schreiben nach der Anlauttabelle zu erlernen hat. Lesen lernt man aber nur durch Lesen, so wie Schwimmen durch Schwimmen und Reiten durch Reiten. Eine gute, flüssige Handschrift und die Rechtschreibung hielt er für nicht so wichtig. Die Folgen baden viele Kinder aus: Die Rechtschreibleistung geht zurück, die Handschrift, das Handwerkszeug in der Schule, wird oft nur mangelhaft beherrscht, weil die Anlauttabelle die Druckschrift als Erstschrift erzwingt. Die Anzahl der Fehler pro 100 Wörter ist lt. Professor Steinig von 7 Fehlern im Jahr 1972 auf 17 Fehler im Jahr 2012 angewachsen. Heute sind es bestimmt noch mehr Fehler. Und viele Schüler haben beim Schreiben den Kopf nicht frei für die Rechtschreibung, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Stift kämpfen und die komplizierten Regeln nicht anwenden können.
Bei der Rechtschreibwerkstatt geht man davon aus, dass die Kinder aus eigenem Antrieb die Rechtschreibthemen mit Arbeitsblättern zu Themen, die sie auswählen können, aus eigenem Interesse sich selbst erarbeiten. Das mag bei ein paar schlauen Kids funktionieren, aber muss in der Breite ebenfalls zu schwächeren Ergebnissen führen.
Zurück zum systematischen Lernen mit der Fibel einschließlich einer verbundenen Schreibschrift, das wäre der richtige Weg. Und: Gute Lehrer, die auch Zeit für ihre Schulkinder haben. Da bei dem Thema viel Ideologie mitschwingt, ist noch lange nichts entschieden. Widerstand gegen die Fibel und Zweifel an der Qualität der Studie regen sich bereits. Manche rufen nach einer Methodendebatte.
Wenn man die Methoden auf ihren Kern reduziert, dann spricht alles für die Fibel. Denn eine Fibel ist das systematische Grundwerk, mit dem man sich ein neues Gebiet erschließt. Und deshalb werden dabei bessere Ergebnisse erzielt, als bei den anderen, unsystematischen Vorgehensweisen. Gerade weil die Sprache oft unlogisch ist bzw. es viele Ausnahmeschreibungen zum Gehörten gibt (Mama, des, am …), ist es wichtig, eine Basis systematisch zu erarbeiten und zu festigen und nicht wild drauflos zu schreiben und dann die Regeln aufzupfropfen.
Bleibt noch abzuwarten, was die Erstklässler mit ihren Smartphones für Nachrichten schreiben. Vielleich verschicken die bald nur noch Sprachnachrichten.
Im September 2018 – Siegbert Rudolph
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!