Warum mir der Duden nicht mehr heilig ist
Auch wenn der Duden offiziell seine Zuständigkeit an den Rat für deutsche Rechtschreibung abgegeben hat, ist er immer noch das erste Werk, in dem nachgeschlagen oder reingeklickt wird, wenn man eine Rechtschreibfrage klären will.
Der Duden richtet sich danach, wie die Mehrheit schreibt. Da die Lehre in den Schulen dazu führt, dass immer fehlerhafter geschrieben wird, gibt es beim Duden immer wieder Anpassungen. Sarkastisch formuliert: Wenn sehr viele immer den gleichen Fehler machen, dann wird diese Schreibung vom Duden als richtig anerkannt. Warum: Ganz einfach, die Schreibung wirkt, wenn man sie oft sieht, vertraut.
Diese Vorgehensweise hat aber einen Nachteil. Sie nimmt keine Rücksicht auf Regeln. Und deswegen wird es für mich schwieriger, so manche Schreibung meinen Schülern zu erklären.
Mein Lieblingsbeispiel ist die Formulierung „im Voraus“. In meiner Schulzeit habe ich gelernt, dass das eine adverbiale Bestimmung ist und kleingeschrieben werden muss. 1996 bei der Rechtschreibreform wurde die Großschreibung Pflicht. Warum? Wenn man in der Schule lernt, dass man Nomen am Artikel erkennt, und dass es versteckte Artikel gibt, zum Beispiel im Wort im, dann ist das Problem vorprogrammiert. Immer mehr unsichere Schreiber haben „im Voraus“ geschrieben, und zwar so oft, dass der Duden diese Schreibung zunächst als Alternative anerkannte, dann empfahl, und schließlich vorschrieb.
So verhält es sich auch bei der Schreibung von „vor Kurzem“, das man auch noch „vor kurzem“ schreiben darf. Hier empfiehlt der Duden die Großschreibung, die sich bald endgültig durchgesetzt haben wird.
Bei „vor allem“ tut man sich mit dem versteckten Artikel schwer. Er passt da nicht. Und deshalb darf diese Formulierung nur kleingeschrieben werden, obwohl sie sprachlich mit „vor Kurzem“ gleichzusetzen ist.
Die Regel „nur Nomen schreibt man groß“, verliert an Aussagekraft. Und das ist die beste Regel für die Großschreibung: Nomen sind Namen oder Bezeichnungen, und die schreibt man groß! Leider stimmt das nicht mehr.
Noch schlimmer ist regeltechnisch die Formulierung „im Herbst diesen Jahres“. Der Duden erkennt das seit langem (empfohlen wird die Schreibung „seit Langem“) als richtig an. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich diese Formulierung am Anfang der 80er Jahre zum ersten Mal in der Tagesschau hörte. Ich war entsetzt. Aber dann hörte ich es immer öfter und schließlich so oft, dass es vertraut klingt und vom Duden anerkannt wird. Aber es ist trotzdem grammatisch falsch, denn die Frage ist: im Herbst wessen Jahres? Und da folgt der Genitiv, also: im Herbst dieses Jahres.
Sprache lebt, das ist gut so. Aber Regelkonfusion sollte vermieden werden.
So, wie der Duden seine Entscheidungen oder Empfehlungen trifft, wird es bald dazu kommen, dass auch bestimmte Pronomen groß zu schreiben sind, denn solche Fehler sehe ich immer öfter, nicht nur in Foren im Internet, auch in renommierten Zeitungen. Beispiele: „Das geht Manchem zu weit. Das trifft auf die Beiden zu.“ Auch Steigerungen werden immer öfter substantiviert. Fast die Hälfte der Lehramtsstudenten halten die Schreibung von am Besten für korrekt (FAZ vom 8.09.21, Teufelskreis der Rechtschreibschwäche von Wolfgang Krischke). Und die neueste Duden-Eskapade, nämlich zum Beispiel das Wort Arzt als nur für Männer geltend zu definieren, hat bei mir den Bruch endgültig besiegelt. Ausgerechnet beim Gendern weicht der Duden von seinem Grundsatz ab, den Gebrauch der Sprache nur abzubilden. Ich bin gespannt, ob sich das Gendern wirklich in der Breite durchsetzen wird. Grammatisch durchdacht ist es bisher nicht. Sie auch meinen Blog Gendern an Schulen!
Leserbrief FAZ vom 14.09.2021 Seite 25
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