Quick and dirty
Schnell lesen zu können, das ist ein großer Vorteil. Wenn ich am Morgen die Zeitung lese, denke ich mir manchmal, dass der Journalist da wieder einen großen Unsinn geschrieben hat. Bis ich merke, dass ich einen großen Unsinn gelesen habe. Nämlich dann, wenn mir z.B. dämmert, dass die Überschrift „Vergewaltigung gegen die Mehrheit“ keinen Sinn ergibt. Der Text lautet beim zweiten Lesen dann: „Wortgewaltig gegen die Mehrheit“. Ich war halt noch nicht richtig wach, unkonzentriert und zu schnell für diese Tageszeit, als mir dieser Lesefehler passierte. Während bei mir solche Fehler sehr selten vorkommen, unterlaufen sie meinen Schülern in den ersten Trainings häufig. Beispiele:
Der Originaltext steht oben, darunter das Gelesene:
1) Der Häuptling senkte sein Haupt.
Der Häuptling senkte seinen Kopf.
2) Die Mäuse rennen vor der Katze davon.
Die Mäuse rennen vor den Katzen davon.
3) Die Kinder der anderen Gruppe waren schneller.
Die Kinder der anderen Gruppen waren schneller.
4) Wie lange hat sie den Verdächtigen verhört?
Wie lange hat sie denn Verdächtige verhört?
5) Beim Lesen hatte sie kleine Probleme.
Beim Lesen hatte sie keine Probleme.
6) Stell dir vor, du liegst in einem Bett in einem Baumhaus.
Stell dir vor, du liegst in einem Bett und schläfst.
7) In den Bergen gibt es Hunde, die unter Lawinen verschüttete Menschen suchen.
In den Bergen gibt es Hunde, die unter Lawinen schnüffeln.
Diese Beispiele machen deutlich, dass die Schüler eigentlich gut lesen können, denn ein großer Teil des Textes wurde einwandfrei und auch schnell gelesen. Aber man kann den Text doch nicht ganz so schnell entschlüsseln, wie man es versucht. Wenn man weiß bzw. glaubt zu wissen, wie es weitergeht, dann kürzt man den Entschlüsselungsprozess ab.
Beispiel 1 zeigt, dass das gut gehen kann. Der Sinn bleibt gleich.
Bei den Beispielen 2 und 3 steht das erste Nomen in der Mehrzahl. Automatisch wird auch das zweite Nomen im Satz in die Mehrzahl gesetzt. Man schaut da gar nicht genau hin. Irgendwann hat sich dieser Zusammenhang automatisiert.
Bei den Beispielen 4 und 5 gibt es eine ziemliche Ähnlichkeit der Wortbilder zwischen geschriebenen und gelesenen Text. Aber inhaltlich ist das Leseergebnis etwas ganz anderes. Beim Lesen müsste man merken, dass dieser gelesene Satz nicht in den Zusammenhang der Geschichte passt. Aber wenn auch schon andere Sätze nicht ganz gepasst haben, und man nicht gelernt hat, alles, was nicht stimmig erscheint, noch einmal zu lesen, dann bleibt das Leseergebnis einfach unbefriedigend.
Die Beispiele 6 und 7 passen gut zu Beispiel 1, aber mit dem Unterschied, dass die Spekulation hier nicht aufgeht.
Wenn Schüler häufig solche Fehler machen, wie in diesen Originalbeispielen aus Mittelschulen gezeigt, verwende ich Übungen, die zum langsamen Lesen und zu mehr Konzentration zwingen.
Es kommt darauf an, erst einmal langsam und genau zu lesen. In meinem bezahlten Berufsleben sagte man zu Ergebnissen, die schnell aber nicht fundiert erreicht wurden: Quick and dirty. Je früher man auf genaues Lesen achtet, desto besser. Die Eltern sollten wissen, dass sich kleine Lesefehler nicht unbedingt von selbst erledigen. Wenn sie zur Lesestrategie des Kindes gehören, dann muss man gegensteuern. Am Anfang des Leselernprozesses darf kein Druck auf das Kind aufgebaut werden.
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