Der Teufelskreis
Es passiert immer wieder: Kinder wollen nicht mehr mit den Eltern lernen. Meist kann dann ein externer Trainer helfen. Warum kommt es zu dieser Lernstörung in der Familie? Zunächst beginnt es harmlos. Irgendetwas, zum Beispiel das Lesen, klappt nicht so, wie es sollte. Dass mehr geübt werden muss, steht außer Frage. Wenn sich dann eine Verbesserung einstellt, sind alle zufrieden. Aber wenn der Erfolg ausbleibt?
Dann glaubt man, mehr üben zu müssen. Und wird es damit immer noch nicht besser, wird der Druck erhöht. Irgendwann stellt sich dann der Frust ein, bei dem Kind und bei den Eltern. Zunächst werden die Eltern nervös. Sie verstehen nicht, warum die Schwierigkeiten nicht kleiner, sondern größer werden. Sie tun doch alles. Aber sie übertragen ihre Ungeduld auf das Kind. Das merkt, dass es den elterlichen Ansprüchen nicht gerecht wird. Im Laufe der Zeit beschließt das Kind, die Leistung zu verweigern, weil das Lernen mit den Eltern die Beziehung belastet. Es versucht, diese stressigen Situationen zu vermeiden, bei der ihm die eigene Inkompetenz deutlich gemacht wird. Man ist in den Teufelskreis Lernstörung geraten.
Ich habe schon öfter Kinder zur Leseförderung übernommen, wo mir die Eltern sagten, zu Hause ginge gar nichts mehr. Wenn die Eltern dann mal bei einem Training von mir zugehört haben, staunen sie, wie gut die Zusammenarbeit zwischen dem Kind und mir läuft. So einen Satz könnten bestimmt viele andere Trainer auch über ihre Förderung sagen.
Eine der häufigsten Ursachen für die Lernstörung zu Hause ist mangelnde Geduld der Eltern. Sie haben kein Verständnis dafür, dass ein schwieriges Wort nach dreimaliger Hilfe beim Lesen immer noch nicht beherrscht wird. Das Kind liest ihrer Meinung nach viel zu langsam und wird angehalten, schneller zu lesen, obwohl es damit überfordert ist. Ungeduld ist aber die Mutter des Misserfolgs. Das Kind wird verunsichert. Sein Selbstwertgefühl sinkt. Das Kind kann nichts dafür, wenn seine Blickspanne für die schnelle Worterkennung einfach (noch) zu klein ist. Dass die Blickspanne trainiert werden muss, wissen die Eltern und oft auch die Lehrkräfte nicht.
Oft wird auch auf dem falschen Niveau geübt. Wenn das Kind in der zweiten Klasse den Zehnerübergang noch nicht beherrscht, macht es keinen Sinn, auf dem Niveau der zweiten Klasse zu üben. Es muss dort aufgesetzt werden, wo das Kind hängt. Wer im Rückstand ist, muss aufholen. Als Lesetrainer arbeite ich deshalb mit meinen sehr schwach lesenden Förderkindern nicht mit Texten aus ihrer Klassenstufe, sondern mit Stoff, bei denen sie die Chance haben, sich weiterzuentwickeln. Die Kinder brauchen Erfolge beim Lesen. Ihnen mit für sie zu schwierigen Texten immer wieder zu demonstrieren, dass sie Mängel haben, ist kontraproduktiv. Auch Wunschbücher der Kinder sind oft wenig hilfreich, da der Text die Lesefertigkeit der Kinder überfordert und man im Buch zudem kaum vorankommt. Ab und zu muss ich sogar auf die Buchstabenebene zurück, um den Kindern zu helfen. Mein „elektronischer“ Silbenschieber hilft mir dabei, auch über Zoom quasi wie mit Buchstabenkärtchen zu üben.
Silbenschieber (Bedienung: Im Bearbeitungsmodus mit der Maus auf eine Buchstabenleiste und mit der Pfeiltaste nach oben oder unten schieben. Die Datei befindet sich im Ordner Am Anfang/Silben: Silbenschieber 5),
Und manchmal wird auch falsch geübt. Schädliche Strategien werden nicht korrigiert, beim Lesen zum Beispiel die Ratetechnik, für die das zu frühe schnelle Lesen oft die Ursache ist. Oder, bei der Rechtschreibung wird eine Handschrift ignoriert, die das Kind zu sehr anstrengt und die Konzentration auf die Rechtschreibung erschwert.
Man liest immer wieder, dass der Trainer mit dem Kind auf Augenhöhe sein sollte. Ich bin nicht auf Augenhöhe mit meinen Zöglingen. Ich respektiere sie und habe Verständnis für ihre Probleme und will ihnen helfen. Aber ich lasse keine Zweifel darüber aufkommen, wer beim Training das Sagen hat. Die Kinder nehmen das meist sofort an, selten braucht es ein paar Übungsstunden, bis sie es begriffen haben. Ich lasse mich nicht auf Diskussionen über die Länge der Trainingszeit ein oder darüber, ob eine Textpassage wiederholt wird oder nicht. Ich erkläre meinen Schülern, warum wir bestimmte Übungen machen und auch, warum Wiederholungen sinnvoll sind. Zum Beispiel wird dadurch die Leseflüssigkeit verbessert. Lob und Anerkennung einer Leistung sind Ansporn und kommen nicht zu kurz. Eine absolut gesehen mäßige Leseleistung kann oft als „schon viel besser als vorhin“ belobigt werden.
Wer die Zeit hat, mit seinem Kind zu üben, sollte die emotionale Ebene nutzen, also Verständnis haben und Geduld aufbringen sowie sein Kind aufmuntern und anspornen. Heute gibt es zudem genügend Möglichkeiten, sich über richtiges Lernen zu informieren, zum Beispiel in der Community „Gemeinsam Lernen lernen – Die Gruppe für Eltern und Fachpersonen“, in der ich die Möglichkeit habe, am fachlichen Austausch teilzunehmen und Fragen zu beantworten, und man kann sein Kind von externen Trainern fachkundig unterstützen lassen. Ich selbst betreibe aktuell nur noch Leseförderung für ganz wenig Schüler. Deshalb verweise ich bei Bedarf auf mein Netzwerk „Kompetenzzirkel Lernen“.
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