Dauerbrenner Leseschwierigkeiten
Sie nehmen kein Ende, die Artikel über dieses Problem. Jetzt wurde festgestellt, dass fast jeder fünfte Viertklässler nicht richtig lesen kann (Iglu-Studie 2016: 18,9 %). Das ist der höchste Wert, den ich in den 9 Jahren, in denen ich mich mit der Leseförderung beschäftige, gelesen habe. Es gibt viele Ursachen, aber nur ein Umstand verhindert eine Verbesserung: die Politik! Dort werden gern die Phrasen von der Bildungsrepublik und den Bildungschancen für alle gedroschen, aber kein Geld dafür in die Hand genommen. Größere Beträge werden nur genannt (leider von der nicht zuständigen Bundesbehörde), wenn es um die Digitalisierung der Schulen geht. …
Die bessere Ausstattung der Grundschulen mit ausreichenden Ressourcen, die den drastisch gestiegenen Anforderungen gerecht wird, die diese Schulart seit Jahren bewältigen muss, die findet man auf keiner Agenda. Ein bisschen Kosmetik und ein paar Experimente reichen nicht. Es geht nicht darum, dass mit bestehenden Mitteln mehr Effizienz erzielt werden muss. Es bedarf mehr Mittel, um ein höheres Niveau herstellen zu können. Klar, es wird dafür sehr viel Geld benötigt, für Personal und Sachmittel. Aber wie soll die Grundschule denn sonst die Auswirkungen der gesellschaftlichen Veränderungen auffangen, die von der Politik munter vorangetrieben werden. Diese Veränderungen will ich gar nicht kritisieren. Sie führen aber dazu, dass die Kinder, die heute in die Grundschule kommen, in ihrer Entwicklung um bis zu vier Jahre auseinander sind, wie auf dem Kongress des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie im Frühjahr berichtet wurde. In vielen Artikeln werden die vielen Schüler mit Migrationshintergrund, deren Wortschatz eingeschränkt ist, als Ursache genannt. Aber in meinem kleinen Beobachtungsfeld stelle ich fest, dass das nicht nur ein Problem der Migration ist. Die gesellschaftlichen Veränderungen führen dazu, dass weniger vorgelesen und mit den Kindern erklärend und vertiefend gesprochen wird. Ehrenamtliche Initiativen – wie Der Lesekoch – können nur in wenigen Fällen helfen und einzelne Schulen unterstützen. Aber auch ehrenamtliche Projekte kosten den Schulen Zeit, die sie sich „aus den Rippen schneiden“ müssen. (Keiner meiner Schüler würde diese Formulierung deuten können.) Der nächste Aufschrei in der Presse wird nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht geht es dann zur Abwechslung mal wieder um die Rechtschreibung. Und irgendwann wird man sich fragen, warum immer mehr Kinder Dyskalkulie haben. In einigen Bundesländern gibt es dafür – ähnlich wie bei der Legasthenie – schon Nachteilsausgleich und Notenschutz. Für das sichere Beherrschen von Lesen, Schreiben und Rechnen brauchen heute viele Kinder einfach mehr Zeit, als sie in der Schule und zuhause bekommen können. Was würde die Gesellschaft wohl dazu sagen, wenn die Politik „Nägel mit Köpfen“ machen würde. (Auch eine Formulierung, die die meisten meiner Schüler zwar lesen könnten, verstehen würde sie keiner.) Man stelle sich vor: Die Mittel zum Erreichen der Bildungsziele würden tatsächlich ausgegeben und woanders eingespart werden. Oder die Steuern würden dafür erhöht. Wird man sich dann doch lieber mit dem „Dauerbrenner“ arrangieren – oder? Die geringsten Mittel wären notwendig, wenn die Politik ehrenamtliche Projekte nicht nur dulden, sondern unterstützen und fördern würde.
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