Legasthenie-Akzeleration
Auf der Rückfahrt vom gelungenen BVL-Kongress 2014 war ich fassungslos, als ich am Bahnhof in Erfurt die FAS vom 11. Mai 2014 in die Finger bekam. „Weg mit der Schreibschrift“ war ein Titel auf der ersten Seite. Darum bemüht sich offenbar der Deutsche Grundschulverband.
Er regt sich über den Schriften-Wirrwarr auf, und will den mit einer neuen Grundschrift, einer Druckschrift, beenden. Als einziges Bundesland sträubt sich Bayern. Da muss ich unser Kultusministerium einmal loben. Der Anlass für die Reform sollen auch die miserablen Handschriften der Schulkinder sein. Aber diese Handschriften seien das Resultat von vorangegangenen Reformen, meint Ute Andresen, die langjährige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben, in der FAS. Und ich erlaube mir anzumerken, auch dem Umstand, dass man das Fach Schönschreiben abgeschafft hat. Eine schöne Schrift zu erlernen, das kostet Zeit. Aber, wenn man schnell schreiben kann, spart man Zeit. Mit Wehmut schaue ich meinen Kindern zu, wenn sie sich bemühen, etwas zu Papier zu bringen. Es ist eine Qual für sie (und für mich). Wie sollen sie bei dieser Anstrengung auch noch an die Rechtschreibung oder an Textgestaltung denken. Mit dem Schreiben übt man zudem automatisch die Rechtschreibung. Druckschrift reiche da nicht, meinte Ulrich Butz in seinem Workshop auf dem BVL-Kongress 2014. Warum ist diese Selbstverständlichkeit bei vielen in Vergessenheit geraten? Weil man sich falsche Ziele setzt. Es kommt nicht darauf an, möglichst schnell das Schreiben und Lesen zu lernen, sondern wichtig ist, dass man es richtig lernt, ganz gleich, wie lang es bei den einzelnen Kindern dauert. Die Zeit für die Einübung von Basisfertigkeiten muss man sich nehmen, und zwar für jedes Kind. Sonst rächt sich das später. Zumindest bei der Rechtschreibung wird der Leistungsverfall durch den Wegfall der Schreibschrift beschleunigt. Meine Fassungslosigkeit wurde zur Bestürzung, als ich über die diesbezüglichen sogenannten Leitlinien las: „Die Schüler sollen künftig Schreibweisen ausprobieren und miteinander beraten.“ Auch wenn Wissen und Fertigkeiten fehlen, Kompetenzorientierung muss wohl sein. Warum kommt einem das bekannt vor?
Siegbert Rudolph
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